von Frau Rosenberg

Es ist eigentlich einfach schon zu warm in der zweiten Stunde.

Alle sind müde und die Hitze, die wir für den Tag erwarten, die uns über Fronleichnam und das Wochenende begleitet hat, ist spürbar und erkennbar in den Gesichtern. Noch bevor die Schuhkartons mit der farbigen Hintergrundgestaltung in Anlehnung an ein Gemälde „Natura Morta“ verteilt sind, höre ich ein leichtes Schlagen aus dem Büro. Noch bevor die Anwesenheit der Schülerinnen und Schüler notiert ist, Fragen zu den Noten auf das Zeichenportfolio gestellt werden können, die Fast-immer-zu-spät-Kommenden noch nicht gekommen sind, hören wir alle ein lautes Flattern aus dem Büro.

Das Büro ist ein übersichtlicher Raum an A202 der Albert-Schweitzer-Schule, einem Gymnasium der Stadt Offenbach am Meer, angegliedert. Dort sitzen gelegentlich Künstlerin und Kunstlehrerinnen beieinander und tauschen sich aus, schneiden an der Maschine Papiere, betrachten auf dem großen Tisch ausgebreitete Werke, Papier wird dort gelagert, Heißkleberpistole, Gouache, Pinsel und die Lehrwerke zu Stillleben- und Landschaftsmalerei, Porträt, Farbe sowie Ausstellungskataloge aus dem Städel, der Schirn, der Rosenhöhe etc.

Eigentlich schlägt dort niemand und auch geflattert wird meines Erachtens nach nicht in diesem Raum. Wir lauschen also. Dann gehe ich hinein, schaue, springe in A202, den Kunstraum, und gebe ein Geräusch von mir, was eine Mischung aus Seufzer und Quietschen sein könnte. Im Büro fliegt eine Taube, und zwar gegen die ungeöffneten Oberlichter. Ich rufe: „Eine Taube!“ Die Akustik in A202 ist schlecht, also wiederhole ich und frage nach Hilfe.

Mohamed B. und Mohammad S. reagieren zügig, springen auf, Erster mit ungeahnt motivierter Mimik, als gäbe es nun endlich mal etwas zu erledigen, was jenseits seiner Erfahrung bezüglich des Schulalltags zu liegen scheint. Mohammad S. ist eigentlich immer motiviert und wortreich, bisweilen eloquent.

Die beiden Moham/ma/eds versuchen die Taube mit einem langen Lineal vom oberen Regal zu schieben und sie fliegt erneut gegen die Oberlichter, was fürchterlich klingt und bestimmt schmerzhaft ist. Leider sind die Oberlichter zulackiert, lassen sich also nicht öffnen, bemerke ich als diejenige, die auf den Tisch geklettert ist.

Mithilfe einer leeren Box und einer großen Pappe wird „Lotti“, wie Mohamed B. sie getauft hat, eingefangen und zum offenen Fenster getragen. „Lotti“ wirkt verwirrt und braucht ein paar Sekunden, um aus der Box zu klettern. Dann fliegt sie hinaus. Wir verabschieden uns. Glücklicherweise haben wir keine tote Taube – Natura Morta als Quasi-Jagdstillleben – erleben müssen an diesem Morgen. Die kurze Aufregung war aufweckend. Die drei Zuspätkommenden haben von „Lotti“ nichts mitbekommen.

Die Pause beginnt. Eine Kollegin kommt und fragt, ob die Tauben noch da seien. Es waren also zwei.

Es ist eigentlich schon zu warm in der dritten Stunde. Die Luft steht im Raum, eine Gruppe faltet und schneidet Zine, andere mischen Farben in denen der Motive verschiedener Gemälde an, um die gebastelten Objekte für die Boxen anschließend zu kolorieren.

Ich denke an die Taube(n) und deren Bedeutung in der christlichen Kunstgeschichte. So gesehen hatten wir Besuch vom Heiligen Geist heute Morgen. Eine Friedenstaube, tauwab / Rahman. Alles gut.

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