von Sophia Albrecht

Es ist Samstag, der 6. Mai 2023. An unserer Schule findet zum neunten Mal die World Robot Olympiad (WRO) statt und ich nehme gemeinsam mit zwei anderen Mädchen und insgesamt drei Teams für unsere Schule in der Kategorie „Senior“ teil. Uns wurde zuvor gesagt, dass wir bereits um 9 Uhr in der Volker-Heim-Halle sein sollen. Ich komme schon etwas früher an und erhalte bei der Anmeldung einen Ausweis und ein Armband mit dem Motto der WRO 2023: „Connecting the world“. Mit meinen Teammitgliedern werde ich einem Tisch zugewiesen, welcher abgegrenzt von den Zuschauern ist. Denn während der Bauphasen darf kein Kontakt zwischen Teammitgliedern und Außenstehenden, besonders den Trainern, stattfinden.

Nach und nach treffen auch die anderen Teams ein. Auf diese bin ich besonders neugierig. Sind sie potenzielle Konkurrenz, die womöglich besser ist als wir? Die ganze Situation ist ziemlich angespannt. Ich weiß nicht, was mich heute erwartet.

Um 9:30 Uhr beginnt die Begrüßung. Zuerst werden die Teams vorgestellt. Dabei wird auch gesagt, dass es einige Teams gibt, welche privat teilnehmen, und in einigen Fällen auch nicht zum ersten Mal. Das steigert mein Stresslevel enorm, denn diese Gruppen sind wahrscheinlich ziemlich gut vorbereitet. Viel besser als wir.  

Wie schon vor dem Wettbewerb wird uns erneut der Zeitplan gezeigt und die Sonderaufgabe wird vorgestellt. Eine Aufgabe, die, wenn man sie löst, Extrapunkte liefern oder schlimmstenfalls bei Fehlern zu Punktabzügen führen kann. Wir können uns 25 Punkte verdienen, wenn wir einen Block an eine bestimmte Stelle transportieren. Für mich hört sich die Sonderaufgabe ziemlich einfach an. Wenn wir sie lösen können, bekommen wir mehr Punkte als mit unserem schwierigeren vorherigen Schwerpunkt, dem Transportieren eines Blockes, zumal dies nicht einmal in den meisten Fällen funktioniert. Deshalb denke ich schon jetzt, dass wir lieber die Sonderaufgabe lösen und dafür einen anderen Teil des Programmes, der bei einem Fehler das ganze Programm gefährdet, löschen sollten. So können wir mehr Punkte bekommen. Also überzeuge ich mein Team. Für die anderen bedeutet das nicht mehr Arbeit. Denn das Programmieren ist meine Aufgabe und das Bauen des Roboters die der anderen aus dem Team. Ich glaube, dass wir den Roboter nicht umbauen müssen und nur das Programm geändert werden muss. Schon vor der ersten Bauphase beginne ich, einen Prototypen des Programmes zu entwerfen, welches viel einfacher als das alte ist. Das möchte ich, sobald unserer Roboter gebaut ist, testen und anschließend ausbessern, bis alles perfekt funktioniert.

Während des Bauteile-Checks, bei dem kontrolliert wird, dass wir nur erlaubte Teile benutzen, fangen wir an, uns mit anderen Teams zu unterhalten. Durch die vielen Leute ist es laut und ich spüre besonders den Stress der Teams. Bei manchen mehr und bei anderen weniger. In wenigen Minuten müssen alle ihren Roboter auswendig und ohne Hilfsmittel aufbauen. Unsere Tischnachbarn haben schon mehrfach an der WRO teilgenommen und besitzen daher bereits Erfahrung. Sie sind beide sehr freundlich und beantworten uns einige Fragen.

Mit der ersten Bauphase beginnt auch die erste richtige Stresssituation. 120 Minuten haben wir Zeit und knapp 40 davon benötigen wir allein für den Bau. Den Rest testen wir unser Programm, bis es funktioniert. Immer wieder kommt es vor, dass wir unsere Bauschritte vergessen und wir uns neue Wege ausdenken müssen. Unsere Tischnachbarn bieten uns freundlicherweise Hilfe an und geben uns Tipps für den Bau, die uns in einigen Fällen wirklich helfen.

Als wir den Bau endlich abschließen, beginnen wir, wie auch einige andere Teams, den Roboter wieder und wieder über die Spielmatte fahren zu lassen, auf welcher er die Aufgaben lösen soll. Das wird besonders erschwert, da sich alle Teams nur zwei Spielmatten teilen und viele der Durchläufe der anderen länger dauern. Wir müssen uns also mit ihnen absprechen, wer in welcher Reihenfolge seinen Roboter startet. Das funktioniert dann auch gut, da alle Teams sehr freundlich miteinander umgehen. Uns fallen während der Durchläufe dabei immer mehr Probleme auf, die besonders an der Bauweise des Roboters liegen. So kann der von uns gebaute Greifarm den Block für die Sonderaufgabe nicht richtig halten, wodurch er ihn irgendwo auf dem Weg verliert. Durch den Zeitdruck, der langsam immer größer wird, entschließen wir uns spontan, den Roboter noch einmal umzubauen. Dabei unterschätzen wir aber die Zeit und müssen, als wir nur noch wenigen Sekunden übrig haben, provisorisch einige Blöcke verbinden und ich muss das Programm erst noch an die neuen Maße anpassen. Zum Glück schaffen wir es noch rechtzeitig, innerhalb der letzten Sekunden abzugeben.

Während der Mittagspause mache ich mir sehr viele Gedanken über das Programm. Habe ich die Maße richtig berechnet, alle wichtigen Dinge im Programm gelassen und vor allem das richtige Programm auf den Roboter übertragen? Am Ende waren diese Gedanken sinnlos. Denn in der ersten Wertungsrunde macht unser Roboter nicht das, was er laut Programmierung machen sollte. Das frustriert mich und mein Team besonders. So etwas ist in den Proben noch nie vorgekommen. Und dann erreichen auch noch andere Teams in der ersten Runde die volle oder die nahezu volle Punktzahl. Mir nimmt das komplett die Hoffnung auf ein Weiterkommen in die deutschlandweite Runde. Sowohl meine Teammitglieder als auch das Publikum muntern mich jedoch schnell wieder auf. Wenn wir nun schon einmal hier sind, wäre es ziemlich traurig, wenn wir einfach so aufgeben würden. Deswegen geben wir in den weiteren drei Wertungsläufen alles.

Nach einer weiteren Bauphase läuft die zweite Wertungsrunde sehr gut. Wir erreichen die Punktzahl, die wir uns vorgenommen hatten. Zwar liegt diese weit entfernt von der Bestpunktzahl, sie reicht uns aber vollkommen aus. In der dritten Wertungsrunde haben wir wieder Schwierigkeiten mit dem Roboter. Diesmal lässt sich das Programm nicht aufspielen. Deshalb macht er gar nichts und wir haben nur noch eine einzige Chance, um möglicherweise noch andere Teams zu überholen. Zum Glück kann ich in der Bauphase das Problem beheben. Ich versuche das Programm zu verfeinern, sodass nichts misslingen kann.

Bevor unser letzter Lauf startet, feuern wir alle die anderen Teams an. Mit vielen von ihnen haben wir gute Gespräche geführt und wir freuen uns für sie, wenn sie eine hohe Punktzahl erreichen. Als dann unser Roboter starten soll, hoffe ich, dass er keinen Fehler macht. Ich werde nicht enttäuscht: Wir können wieder die Punktzahl aus der zweiten Wertungsrunde erzielen und damit sind wir alle sehr zufrieden. Zwar wissen wir schon jetzt, dass wir nicht weiterkommen werden, da andere Teams eine viel höhere Punktzahl bekommen haben, aber wir haben alles gegeben.

Bei der Siegerehrung müssen wir leider lange warten, bis die Teams der anderen Kategorien ihre Urkunden erhalten. Bei jeder aufgerufenen Gruppe hoffe ich, dass das noch nicht wir sind und wir einen der vorderen Plätze erreichen. Der sechste Platz wird aufgerufen. Der fünfte. Beim vierten Platz wird unser Gruppenname genannt. Gemeinsam gehen wir auf die Bühne. Dort überreicht uns der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir unsere Urkunden. Über unser gutes Abschneiden freuen wir uns sehr, besonders in Anbetracht der starken Konkurrenz. Wir erhalten viele Glückwünsche.

Der Tag war großartig. Ich habe viele neue Leute kennengelernt und interessante Gespräche geführt. Auch wenn es einige unangenehme Stresssituationen gab, konnte unser Team doch eine gute Platzierung herausholen. Besonders eines habe ich heute gelernt: Auch wenn eine Situation noch so aussichtslos wirkt und man das Gefühl hat, man könnte nichts mehr erreichen, sollte man weitermachen und das Beste geben.

Aufgefallen ist mir, dass neben unserem Team kaum andere Mädchen in unserer Kategorie teilgenommen haben. Deshalb auch nochmal als Appell an alle Mädchen, die Spaß und Interesse an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) haben: Nutzt solche Wettbewerbe und andere Veranstaltungen! Wir brauchen dringend Verstärkung!

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