von Natalia Georgaki
Gestern wachte ich mit einem komischen Bauchgefühl auf. Ich wusste anfangs auch nicht, warum. „Na ja, egal“, dachte ich, denn es war schließlich Freitag. Die Schule war auch seltsam. Meine Klasse, die normalerweise laut und unruhig war, war einfach nur totenstill. Beim Ankommen an der Schule sahen alle Schüler merkwürdig müde, verschlafen und nicht ansprechbar aus. Sogar die Lehrer. Frau Cinar, die meine Klasse sonst immer mit einem Lächeln im Gesicht begrüßt, sah genauso lustlos und nicht ansprechbar aus wie alle anderen. Herr Camacho, unser Spanischlehrer, war auch nicht wie immer, redete wie alle anderen Lehrer wenig und ließ uns in der letzten Stunde einfach nur einen Text im Buch abschreiben. Nicht nur das war komisch, sondern auch die Pausen. Keine Lebendigkeit, keine Gespräche und Geschreie und niemand lief herum. Alle saßen und redeten nicht. Auch Emelie, Ruken und Tamina schienen nicht reden zu wollen – so, als ob ihre Gefühle gelöscht wären. Da war gar nichts. Es kam mir so vor, als ob ich in einer Irrenanstalt wäre, denn das würde sicherlich kein normaler Tag werden. Sowieso war gefühlt alles, was Farbe hatte, wie verschluckt, und alles sah düster, unheimlich und tot aus. Ich lief also nach Hause, bemerkte aber, wie alle anderen Leute außerhalb der Schule mir den gleichen Eindruck gaben wie alle Schüler und Lehrer. Ich kam also zu Hause an, doch das Verhalten meiner Mama vom Morgen hat sich nicht geändert.
Am Nachmittag würde ich mich mit meinen zwei Freundinnen, Silia und Konstantina, treffen, damit wir zum Tanzen laufen. Weil Silia sich das Bein gebrochen hatte, kam sie für mehrere Wochen nicht mit. Das wäre wieder das erste Mal seit Langem, dass wir wieder als unser Trio zusammen hinlaufen würden. Also gab es an dem Tag doch einen Grund zum Freuen. Als Erstes würden wir aber in die Stadt gehen.
Mich riefen plötzlich beide an und erzählten, dass der Tag bei ihnen genauso komisch war wie bei mir. Wir hinterfragten es nicht, also konzentrierten wir uns nur auf das Treffen. Zuerst traf ich mich mit Konstantina an unserem bekannten Treffpunkt. Wir trafen uns immer dort, weil wir im selben Viertel wohnen.
Wir liefen also in die Stadt, um Silia zu treffen. Die Leute um uns herum wurden aber immer komischer. Sie verhielten sich immer mehr wie Roboter. Sie starrten uns an, und wir fühlten uns unwohl und beobachtet – so, als ob es alle auf uns abgesehen hätten.
Silia stieg aus dem Bus, aber anstatt uns zu umarmen und vor Freude umzurempeln, wie sie es sonst immer machte, sah sie geschockt und eingeschüchtert aus. Sie erklärte uns sofort, was passiert war. „Mit dem Bus stimmt gewaltig was nicht! Der Fahrer starrte mir einfach nur in die Seele, als ich ein Ticket ziehen wollte. Als ich mich hinsetzte, starrten mich alle Leute genauso an. Ich wollte schreien. Es war angsteinflößend.“
Auf dem Weg ins Einkaufszentrum wurde die Stadt leer, bis im Einkaufszentrum keiner mehr war. Silia nahm drei Fantadosen mit, sodass wir keine von draußen holen mussten. Wir nahmen also den Aufzug in den dritten Stock, weil dort Bänke waren, auf denen wir uns hinsetzen konnten. Wir gingen rein, doch diese Entscheidung nahm eine böse Wendung. Der Aufzug rüttelte plötzlich und blieb durchgängig stehen, und wir dachten, wir würden abstürzen. Wir hatten noch nie so eine Panik wie in diesem Moment und wir riefen um Hilfe. Doch uns wurde bewusst, dass keiner so schnell kommen würde. Zwischen den Aufzugtüren ging plötzlich ein helles Licht an. Doch dann gingen nach und nach alle Lichter im Aufzug aus, und wir schrien: „Hilfe! Hallo, ist jemand da?“ Auf einmal fingen wir wieder an, nach oben zu fahren und waren sehr erleichtert. Wir schienen angekommen zu sein. Dritter Stock, wie gewollt. Doch als die Türen aufgingen, waren wir plötzlich im Parkhaus! Wir drückten die Knöpfe, doch es geschah nichts. Wir entschieden uns also rauszugehen. Im vierten Stockwerk waren alle Lichter ausgeschaltet, es herrschte eine düstere Atmosphäre. Während wir uns umschauten, gingen in Sekundenschnelle die Türen hinter uns zu. „Lass uns runtergehen“, rief ich, doch dann hörten wir ein leises Wimmern. Aus dem Nichts stand auf der anderen Seite ein Mann. Er stand mit dem Rücken zu uns, sodass wir nicht davon ausgehen konnten, dass wir ihn kannten. Uns war aber klar: Kein normaler Mann steht so komisch still und alleine in einem Parkhaus eines Einkaufszentrums, bei dem die Lichter aus sind und keine Menschenseele da ist. Er musste also eine besondere Absicht haben, dort herumzustehen. Wir näherten uns ihm – für den Fall, dass er uns helfen oder den Spuk aufklären könnte. „Hallo? Geht es Ihnen gut?“, rief ich, denn weder bewegte er sich noch gab er uns eine Antwort. Als Silia ihn antippen wollte, drehte er seinen Kopf plötzlich nach hinten um, und ein unfassbar lautes Sirenengeräusch ertönte. Wir erschraken und hielten uns die Ohren zu, als wir bemerkten, dass der Mann in unsere Richtung rannte. Er sah nicht normal aus. „In den Aufzug, schnell!“, rief Konstantina voller Panik. Wir ließen unsere Fantadosen fallen und rannten so schnell, wie wir nur konnten, in den Aufzug. Zum Glück gingen auch sofort die Türen zu, sodass dieser Mann nicht hereinkommen konnte.
Um uns vom Schock zu erholen, blieben wir noch ungefähr 15 Minuten drin. In der Zwischenzeit fing Silia an, etwas vor sich hin zu murmeln. „Ein Roboter…“. „Was?“, fragte ich. „Er war ein Roboter. Wisst ihr nicht mehr, wie vor ein paar Monaten in den Nachrichten gesagt wurde, dass die Wissenschaft so weit war, dass sie mit dem Bau von menschenähnlichen Robotern begann? Erinnert ihr euch an die Frau, die bei der Umfrage dazu meinte, dass sie Böses sah und dass wir den Bau stoppen müssen, weil es sonst das Ende wäre? Keiner glaubte ihr, und die Umfrage wurde abgebrochen.“ „Was? Meinst du die komische Psychotante, aus der ein Meme gemacht wurde?“ „Ja, genau die.“ „Sie denkt, sie wäre in einem Film. Ich denke, ihre ganzen Vorstellungen haben sie ein wenig verwirrt, mehr nicht. Weil so jung war sie ja auch nicht mehr“, meinte Konstantina. „Aber denk doch mal nach: Sie meinte, menschenähnliche Roboter würden versuchen, alle Menschen zu hypnotisieren, sodass alle durch ihre Roboterzwillinge ersetzt werden. Sie sollen die Menschheit einnehmen, hat sie gesagt“, meinte Silia. „Doch da ist wirklich was dran. Der Mann sah auch nicht menschlich aus. Ich meine, habt ihr seine Augen gesehen? Die waren rot und maschinenähnlich!“ „Ja eben, er war ein Roboter!“, klärte uns Silia auf. „Aber was ist jetzt mit den anderen Leuten, hat das auch was mit ihnen zu tun?“, fragte ich. „Na ja, es gehen seit Monaten Gerüchte und angebliche Fake News rum, dass der Kopf des Falls dafür sorgt, dass alle Menschen unlebendig hypnotisiert werden, sodass keiner mehr Gefühle hat, niemand mehr was merkt und jedem alles egal ist. Jemand soll die Leute dann entführen, also verschwinden sie für ein paar Stunden, und dann tauchen ihre Doubles auf, die ihren Platz einnehmen. Sie verhalten sich gleich, sodass keiner merkt, dass die eigentliche Person nicht mehr da ist.“ Silia zeigte uns alle Beweise dafür. Videos, Dokus, Fotos. Außerdem fügte sie hinzu: „Wir werden anscheinend durch Blaulicht hypnotisiert. Ich weiß nicht, ob wir die einzigen Leute sind, die noch nicht hypnotisiert worden sind, aber an eurer Stelle würde ich mein Handy ausschalten.“ Sie drehte sich zu Konstantina, die ihr so gut wie gar nichts abkaufte. „Leute, unsere Eltern haben uns auch noch nicht angerufen oder uns geschrieben. Sie machen das doch immer“, sagte ich. „Das hat nichts zu bedeuten.“ Es wäre schon eigentlich die Zeit, zum Tanzen zu laufen, doch wir entschieden uns nicht hinzugehen.
Es war schließlich 18 Uhr, also einigten wir uns, aus dem Aufzug herauszugehen. Wie durch ein Wunder war alles wieder normal. „Genau wie angenommen. Schaltet am besten eure Handys aus“, empfahl uns Silia, die nicht verblüfft war. „Okay, auch wenn ich das nicht glaube.“ „Ja, ich schalte auch mein Handy aus, um auf Nummer sicher zu gehen.“ Im gleichen Takt liefen wir im Einkaufszentrum herum und wunderten uns, dass alles wieder normal zu sein schien. Keiner, der uns komisch anstarrte. Keiner, der sich wie ein Roboter verhielt. Alles war normal.
Weil es dunkel war, beschlossen wir, nach Hause zu gehen. Wir umarmten uns mit Silia, weil sie in die andere Richtung musste, um den Bus zu ihr nach Hause zu nehmen. „Wenn was ist, rufe ich euch an, aber dann schalte ich sofort mein Handy aus. Wundert euch also nicht, wenn ich danach nicht mehr antworte“, sagte Silia. „Okay, machen wir so.“ „Weil nicht, dass ich auch hypnotisiert werde.“ Wir lachten. „In Ordnung, pass auf dich auf!“ „Mache ich!“, sagte Silia zum Schluss.
Konstantina und ich liefen zusammen wieder denselben Weg nach Hause. Wir redeten nicht viel, aber nach diesem Erlebnis war uns danach auch gar nicht zumute. Wir verabschiedeten uns und ich lief in Richtung meines Zuhauses. Die Eingangstür meiner Wohnung war verschlossen. „Wie komisch, sonst ist die Tür nur einmal zugeschlossen“, murmelte ich vor mich hin.
Ich ging in die Wohnung hinein, aber keiner war zu Hause. „Mama? Papa?“, rief ich, doch bekam keine Antwort. Ich schaute auf die Kommode und es lag ein kleiner Zettel mit der Handschrift meiner Mama drauf.
Natalia,
dein Onkel und deine Tante haben uns spontan auf eine kleine Party eingeladen. Wir werden wahrscheinlich erst spät zurückkommen. Wenn etwas ist, kannst du uns anrufen. Keine Sorge, uns geht es allen gut!
Deine Mama
Ich dachte mir nichts dabei. Vielleicht war ja alles nur ein Zufall und niemand will die Welt einnehmen. An dem Abend schaute ich mir unzählige Filme an und genoss meine Zeit, denn sturmfrei hat man nicht immer!
Ich war anscheinend so müde, dass ich auf dem Sofa einschlief. Plötzlich wachte ich so hastig auf, dass mir wieder schwindelig wurde. Doch ich wachte nicht dort auf, wo ich eingeschlafen war. Ich war komischerweise auf meinem Bett. Der Geruch von Toast kam mir direkt in die Nase, also waren meine Eltern im Haus. Ich war so erleichtert, denn alles war nur ein dummer Traum.
Ich ging aus meinem Zimmer heraus, und sofort rannte meine kleine Schwester zu mir und umarmte mich. Meine Eltern hatten, wie sonst auch immer, gute Laune. Ich nahm mein Handy, um Konstantina und Silia von meinem Traum zu erzählen. Doch plötzlich vibrierte mein Handy ununterbrochen, und als ich draufschaute, hatte ich mehr als fünf verpasste Gruppenanrufe von meinen Freundinnen. Ich rief sie erneut an, und sie gingen beide ran. „Ich hatte so einen komischen Traum. Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen!“, rief Konstantina sofort. „Ja, ich auch, total komischer Traum!“ ,,Hä, wie komisch. Das kann doch nicht sein, oder?“, sagte ich. Ich schaute mich aus Langeweile in meinem Zimmer um, und was ich sah, ließ mein Herz in die Hose rutschen.
Die leere Fantadose, die ich im Parkhaus fallen gelassen hatte, war plötzlich in meinem Zimmer. Es klebte ein kleiner Zettel darauf:
Du hast da was vergessen…
„Leute, warum steht die Fantadose in meinem Zimmer?“, sagte ich in voller Panik.
„Nein, nein, nein, das kann nicht sein!“
Es war doch alles nur ein Traum – oder etwa doch nicht?