von Laura Swat; Foto von Pixabay

Soziale Ungleichheit in Deutschland zeigt sich in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen und wirkt sich damit auf die Arbeitswelt, Politik, Freizeit, Religion und Bildung aus. Personen und Personengruppen erfahren Ungerechtigkeit und Ausgrenzung aufgrund von sozialen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, ungerechter Einkommens- und Vermögensverteilung, Migrationshintergrund, Familienstand und nicht zuletzt aufgrund von Bildungsbenachteiligung. Dadurch werden die Chancen, sich persönlich verwirklichen zu können, massiv eingeschränkt, was zu einem Rückgang der sozialen Mobilität und zu einer Spaltung der Gesellschaft führt. Obwohl sich der Sozialstaat der sozialen Gerechtigkeit und der damit verbundenen Chancengleichheit aller Menschen verpflichtet, scheint dieses Prinzip in der Gesellschaft nicht umgesetzt zu sein. Vor allem Schülerinnen und Schüler kommen mit den negativen Auswirkungen sozialer Ungerechtigkeit in Berührung, was ihnen die Bewältigung des Schulalltags erschwert. Da schulische Einrichtungen die Anforderungen an einen sicheren Ort für Lernende, der frei von Ungerechtigkeit, Benachteiligung und Chancenungleichheit ist, nicht erfüllen, bedarf es einer umfassenden Reform des Bildungssystems, um einen solchen Zustand erreichen zu können.

Die in 2022 durchgeführte internationale PISA-Studie hat erneut bestätigt, dass das Niveau der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten sowie der Lesekompetenz der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in Deutschland sehr stark von sozioökonomischen und soziokulturellen Merkmalen abhängt, wie z.B. dem kulturellen Besitz und Wohlstand der Familien. Nach der Studie „Soziale Selektion beim Zugang zum Studium“ der Hans-Böckler-Stiftung streben von 100 Kindern aus Akademikerfamilien 71 ein Studium an. Vergleichsweise gering erscheint die Zahl der Kinder, deren Eltern keinen Hochschulabschluss erworben haben, denn von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien entscheiden sich anschließend nur 24 für ein Studium. Ein Grund hierfür ist, dass Nichtakademikerkinder häufig weniger finanzielle Unterstützung von ihren Eltern erhalten und daher parallel zum Studium arbeiten müssen. Dies kann auf ein geringeres Einkommen der Eltern zurückgeführt werden oder auf eine geringere Bereitschaft, ihren Kindern im Erwachsenenalter ein Studium zu finanzieren. Des Weiteren reichen den Studierenden andere Finanzierungsmöglichkeiten wie BAföG, Stipendien oder Studienkredite nicht aus. Hinzu kommt, dass sich die Beantragung oftmals als schwierig gestaltet. Darüber hinaus stellen fehlende Erfahrungen und Informationen des elterlichen und sozialen Umfelds über Studiengänge für viele Nichtakademikerkinder eine Hürde dar. Dies führt wiederum zu einem geringeren Interesse an einem Hochschulbesuch. Zudem wachsen Nichtakademikerkinder häufig in einer weniger lernanregenden Umgebung auf und erhalten von ihren Eltern weniger Unterstützung beim Lernen. Daher kommen die Kinder aus diesen Elternhäusern kaum in Berührung mit kultureller Bildung und lesen möglicherweise nur in der Schule Literatur oder besuchen Museen. In diesen Haushalten mangelt es des Öfteren an der geeigneten Ausstattung, um eine ruhige und angemessene Lernumgebung zu schaffen, da es häufig an digitaler Infrastruktur und einem speziell für das Lernen vorgesehenen Ort fehlt. Dies führt in vielen Fällen zu Lernlücken. Um der gesamten Schülerschaft das gleiche Ausmaß an Aussichten und Chancen zu ermöglichen, ist es erforderlich, auf individuelle Beratungen zurückzugreifen, finanzielle Unterstützung in den Fokus zu rücken und durch aktives Wirken, Inspirieren und Motivieren in den Bildungseinrichtungen für Anregung zu sorgen.

Betrachtet man die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, zeigt die PISA-Studie auf, dass diese im Durchschnitt zwei Schuljahre in ihren Leistungen zurückliegen. Lange Zeit gab es im Bereich der Sprachförderung in Deutschland keine gezielten Integrationsstrategien. Jedoch sollte in erster Linie die Integration von Zuwanderern auf schulischer Ebene erfolgen, denn es ist von entscheidender Bedeutung, jungen Menschen die Chance zu bieten, sich ohne Sprachbarrieren entfalten zu können. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Weber, führt an, das Instrument der Intensivklassen sei nicht geeignet, eine signifikante Veränderung herbeizuführen. Dies würden die Ergebnisse im Nachbarland Hessen zeigen, wo es solche Intensivklassen gebe. Laut Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig (SPD) verspricht dagegen die sofortige Integration in eine Regelklasse eine hohe Erfolgsquote. In sprachlich weniger anspruchsvollen Fächern wie Mathematik oder Musik würden Lernende mit Migrationshintergrund gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, mit denen sie auch in den Pausen spielen und reden, lernen. Der Schlüssel zur Integration liegt in der Ausgewogenheit zwischen sozialem, sprachlichem und kulturellem Lernen.

Aufgrund von überkommenen Stereotypen und konventionellen Wertevorstellungen, die aufgrund des veralteten Schulsystems immer noch eine Rolle spielen, sind Frauen in den MINT-Fächern stark unterrepräsentiert. Seit den Anfängen des Schulsystems wurden die MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, den Jungen zugeschrieben, während sich die Mädchen mit musischen und handwerklichen Fächern beschäftigen sollten. Diese überholten Wertvorstellungen beeinflussen auch heute noch die schulische Laufbahn von Mädchen. Obwohl der Frauenanteil in MINT-Studiengängen insgesamt gestiegen ist, entscheiden sich weniger Frauen als Männer für MINT-Fächer und akademische MINT-Berufe als Männer. Exemplarisch zeigt sich diese Unterrepräsentierung in den Ingenieurwissenschaften: Dem Statistischen Bundesamt zufolge liegt der Frauenanteil der Studierenden im ersten Hochschulsemester in Deutschland sowie der Absolventinnen und Absolventen im Erststudium im Jahr 2021 unter 30 Prozent. Insbesondere in Führungspositionen, die als Indikator für Innovation und Kreativität gelten, sind deutlich weniger Frauen anzutreffen als Männer. Um Deutschland als wettbewerbsfähigen Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort weiter voranzubringen, müssen gerade für die innovationstreibenden akademischen MINT-Berufe alle Talente gewonnen und langfristig gehalten werden.

Was würde auf die Berufe gut vorbereiten? „Zum Beispiel Informatikunterricht, durchgängig ab Klasse 5“, erklärt die Medieninformatikerin Sibylle Kunz dem MDR gegenüber, „[u]nd zwar Informatikunterricht, der diesen Namen auch verdient. Der sich nicht auf reines Anwendungswissen beschränkt, also den Umgang mit Excel, PowerPoint und Word.“ Junge und begabte Mädchen bekommen von Lehrkräften im MINT-Unterricht des Öfteren diskriminierende Aussagen zu hören, wie etwa: „Für ein Mädchen wäre die Antwort ok gewesen, aber von Dir [einem Jungen] hätte ich sowas nicht erwartet“, wie eine Schülerin eines Leipziger Gymnasiums erzählt. Hinzu kommt, dass die Mädchen gerne mit den Jungen verglichen werden und so diesen vermittelt wird, dass sie sich auf Grund ihres Geschlechts besonders anstrengen müssen. Diese Faktoren, die dazu führen, dass die Lernumgebung unmotivierend und belastend wirkt, begünstigt das Desinteresse der Schülerinnen an den Fächern.

Letztlich ist die Bildung der Schlüssel zur individuellen Entwicklung und gesellschaftlichen Teilhabe und daher ist es umso wichtiger, eine gerechte Bildung durch eine Schulreform zu gewährleisten.

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